Missbrauch

Obwohl die Geschichte des Missbrauchs schon so alt ist, ist die Erforschung von Missbrauch eine relativ junge Disziplin. Es gibt also weiterhin große Wissenslücken. Dazu kommt, dass das Dunkelfeld im Bereich sexualisierte Gewalt extrem hoch ist. Um statistische Aussagen über die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs zu machen, muss man die Betroffenen fragen. Und aus verständlichen Gründen äußern die sich häufig nicht zum Erlebten. Außerdem gibt es in der Forschung keine eindeutige, allgemein akzeptierte Definition für sexuellen Missbrauch. Dadurch variieren die vorhandenen Untersuchungsergebnisse stark.

Trotzdem haben wir uns bemüht, einige Fakten zum aktuellen Wissensstand zum Thema Missbrauch zusammenzutragen. Wir freuen uns über Kritik, Anregungen und Ergänzungen!

Definition

Als sexuellen Missbrauch bezeichnet man strafbare sexuelle Handlungen an sogenannten ‚widerstandsunfähigen‘ Personen. Damit sind Minderjährige gemeint, aber auch Menschen mit Beeinträchtigung, Hilfsbedürftige oder Gefangene. In einigen Fällen betrifft das auch Menschen, die in einem bestimmten Betreuungsverhältnis zueinander stehen, wie z. B. im Rahmen einer Psychotherapie. Voraussetzung ist, dass die Handlungen ohne deren Einverständnis vorgenommen werden. Ein Einverständnis setzt natürlich voraus, dass die Person in der Lage ist, einer solchen Handlung zuzustimmen und deren Konsequenzen zu überblicken.

In der Forschung zu sexuellem Missbrauch an Kindern wird zwischen engen und weiten Definitionen unterschieden. Enge Definitionen beziehen lediglich Taten ein, über deren Schädlichkeit Einigkeit herrscht, also die mit körperlicher Gewalt oder Drohungen erzwungenen sexuellen Handlungen gegen den Willen des Kindes. Dagegen fassen weite Definitionen auch die potentiell schädlichen Handlungen als sexuellen Missbrauch auf.

Wir entscheiden uns bewusst für eine weite Definition, wie sie z. B. Dirk Bange vorschlägt:

Demnach ist sexueller Missbrauch jede sexuelle Handlung an einem Kind, die entweder gegen dessen Willen vorgenommen wird oder der es nicht wissentlich zustimmen kann, da körperlich, psychisch, kognitiv oder sprachlich unterlegen ist. TäterInnen nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition aus um eigene Bedürfnisse auf Kosten eines Kindes zu stillen. (Bange 2007)

Einvernehmliche Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen kann es also nicht geben und ebenso kann ein Missbrauch nicht versehentlich passieren. Sexueller Missbrauch ist eine willentliche Handlung des Täters oder der Täterin.

Vom deutschen Strafgesetz her betrachtet, verstößt die missbrauchende Person gegen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Das kann – juristisch gesehen– auf zwei Arten passieren: eine sexuelle Handlung wird gegen bzw. ohne den Willen der betroffenen Person ausgeführt, oder eine sexuelle Handlung wird mit der scheinbaren Einwilligung der betroffenen Person ausgeführt, wobei der Täter / die Täterin die mangelnde Einwilligungskompetenz des Opfers ausnützt. Bei Kindern und Jugendlichen geht man davon aus, dass diese Einwilligungskompetenz grundsätzlich nicht vorliegt.Die Strafbarkeit und Strafmaße sind im Strafgesetzbuch §174-184 geregelt.

Zur Häufigkeit von sexuellem Missbrauch

finden Sie hier Zahlen und weitere Informationen…

Was kann alles sexueller Missbrauch sein

  • ein Kind zur sexuellen Erregung anfassen oder sich von ihm / ihr berühren zu lassen
  • ein Kind zu zwingen oder zu überreden, eineN nackt zu betrachten oder bei sexuellen Handlungen zuzusehen
  • Kinder für pornographische Zwecke zu benutzen oder ihnen Pornofilme vorzuführen
  • den Intimbereich eines Mädchens / eines Jungen zu berühren oder sie / ihn zu oralem, analem oder vaginalem Geschlechtsverkehr zu zwingen
  • vor einem Kind sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen (onanieren)
  • Gespräche oder das Präsentieren von Material über sexuelle Aktivitäten, die das Kind sexuell stimulieren oder schockieren können
  • obszöne Telefonanrufe
  • Degradierung zum sexuellen Objekt (Herumreichen, Bemerkungen, Beschimpfungen, Erniedrigungen)
  • Fotografieren des Kindes nackt oder in sexuellen Posen

Ein entscheidendes Kriterium des sexuellen Missbrauchs ist der Verstoß gegen die sexuelle Selstbestimmung und die Grenzen der Persönlichkeit.

Hierzu gehören auch

  • Grenzverletzungen
    Grenzen der Persönlichkeit des Kindes werden nicht gesehen, das Kind kann und darf der eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen.
  • Manipulation
    Wenn der Täter Gefühle beim Kind manipuliert, wie z.B. „…das ist schön, dass willst du doch auch“
  • Einschüchterung
    Einschüchterungen, Drohungen und Machtproben stehen hier häufig in Zusammenhang mit dem Geheimnis
  • Demütigung und Misshandlung
    Die Unterwerfung des Kindes geschieht häufig mit Beschämung, Demütigung und Misshandlungen. Opfer werden zu Sündenböcken der Familie, die alle hänseln.

Wo und wann sexueller Missbrauch an Kindern vorliegt, muss im Einzelfall entschieden werden. Die Grenzen können fließend und individuell unterschiedlich sein. Eine wichtige Orientierung ist hierbei das Kind selbst. Quelle: STIBB e.V.

Ursachen

  • die Dominanzkultur legt Unterdrückung und Ausbeutung nahe
  • Männern wird aufgrund der patriarchalen Gesellschaftsordnung Frauen gegenüber eine Vormachtstellung eingeräumt
  • es besteht die gesellschaftliche Erwartung an Männer, sich gegenbüber Schwächeren zu „behaupten“, über sie zu verfügen und sich über sie hinweg zu setzen
  • Männern wird suggeriert, dass sie immer Erfolg haben müssen
  • von Männern wird erwartet, dass sie sich über Emotionen hinweg setzen, damit wird die Empathieentwicklung unterbunden bzw. gehemmt
  • Männer und Frauen halten an den gesellschaftlich definierten Normen fest und stehen Veränderungen gegenüber häufig ängstlich, kritisch oder abwehrend gegenüber
  • Persönliche Aspekte, die eine Tätergenese begünstigen
  • die missbrauchende Person übernimmt ihre gesellschaftlich vorgegeben Rolle in Familie und Gesellschaft unreflektiert und leitet daraus das Recht ab zu missbrauchen
  • es wird versucht, mit Hilfe sexuellen Missbrauchs eigene Ohnmachts- und Frustrationsgefühle zu kompensieren
  • erworbene Sozialisationsmuster werden unreflektiert reproduziert
  • Frauen und Kinder werden als Eigentum betrachtet
  • es wird subjektiver Nutzen aus der sozialisierten Rolle gezogen (Macht, Erfolg)

Psychosoziale Komponenten

Psychosoziale Komponenten täterbegünstigenden Verhaltens:

  • die missbrauchende Person kann sich nicht in die Situation der Opfer hinein versetzen
  • Gewalt gegenüber Schwächeren wird als Möglichkeit angesehen, eigene Schwächen zu kompensieren
  • es bestehen sozialisationsbedingte, unverarbeitete Defizite
  • der Dominanzanspruch gegenüber der Frau und / oder dem Kind kollidiert mit dem Wunsch des Täters nach Geborgenheit und Zärtlichkeit, deshalb werden die Gefühle und Bedürfnisse auf Mädchen und / oder Jungen übertragen
  • das Kind wird als Eigentum gesehen, das der Verfügungsgewalt des Erwachsenen unterliegt